TrainspottingIrvine Welsh  
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Man stelle sich ein kleines Land vor, das von seinem einzigen Nachbarland seit Jahrhunderten auf verschiedenartigste Weisen, aber stets energisch unterdrückt wird, in dem die Wirtschaft darniederliegt und die Leute frustriert sind. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Lebensstandard niedrig. Alkohol-, Rauchwaren- und Rauschdrogenkonsum suchen in Europa ihresgleichen, die Krebsraten auch. Da gibt es eine schnuckelige Bilderbuchlandeshauptstadt, in der sich Unmassen von Touristen tummeln und allsommerlich ein — am internationalen Standard gemessen — mittelmäßiges Kulturfestival stattfindet; den Rest des Jahres über herrscht kulturell toteste Hose. Umso erstaunlicher, daß Literatur in diesem Lande ganz besonders großgeschrieben wird und beinahe jeder Säugling sämtliche Werke der Nationalschriftsteller, Scott, Burns und Stevenson, auswendig hersagen kann.

Noch erstaunlicher, daß neuerdings ein vierter Name dazugekommen ist, der meist im gleichen Atemzuge genannt wird, obwohl er mit den anderen dreien nicht recht viel gemeinsam hat, und der deren Auflagenzahlen bald zu überflügeln droht.

Choose life. Choose a job. Choose a career. Choose a family. Choose a fucking big television. Choose washing machines, cars, compact disc players and electrical tin openers ... choose DIY and wondering who the fuck you are on a Sunday morning. Choose sitting on that couch watching mind-numbing, spirit crushing game shows, stuffing junk food into your mouth. Choose rotting away at the end of it all, pishing your last in a miserable home, nothing more than an embarrassment to the selfish, fucked up brats you spawned to replace yourself. Choose your future. Choose life... But why would I want to do a thing like that?

So beginnt bekannterweise die Verfilmung von Irvine Welsh' Erstlingsroman Trainspotting. Man nehme ein paar Filmemacher, die bereits im Vorjahr mit "Shallow Grave" die britischen Filmkassen gesprengt haben, eine satte Dosis Sex, Drugs and Rock 'n' Roll: schon hat man den Stoff, aus dem die Kultfilme sind. Eine Zutat nehme man noch, ohne die kein Kultfilm Kultfilm wird: eine Handvoll gängiger Klischees, und auch die sind im Film ordentlich enthalten, wie Regisseur Danny Boyle selbst zugibt. Weiterhin gibt er zu, diese selbst hineingeschmuggelt zu haben, da sie im Buch so nicht zu finden wären, und er würde sie selbst nicht mögen — aber ohne ginge es nunmal nicht im Filmbusiness.

Und damit wären wir beim Buch, das in Großbritannien bereits Bestseller war, als die Verfilmung noch niemand gedacht hat: Neben den gängigen Klischees fehlen auch jegliche Tabus; ob Drogenexzesse, Sex, Chauvinismus, Krimi, Satire — Irvine Welsh kennt weder Grenzen noch Kompromisse: Hartes Milieu, harte Typen, harter Humor, härteste Gangart, und dabei doch immer nur vom Feinsten. Ob da einer auf Turkey nach seinen halbaufgeweichten Opiumzäpfchen die Toilette durchwühlt, ein anderer für sein Leben gerne Bullterrier schlachtet, ein weiterer Jagd auf schwule Junkies macht und wieder einer sich bei seinem ersten Analverkehr eine Platzwunde am Kopf zuzieht, weil ihm Hände und Füße gebunden sind, Welsh' Figuren sind Karikaturen, aber doch solche, die aus dem Leben gegriffen sind, und wo genau die Grenze verläuft, weiß keiner. Ihre Namen sind übrigens, ebenso wie die Handlung, Nebensache; weitere Unterschiede zum Film, der zuweilen mehrere Charaktere und Geschehnisse zu jeweils einer Figur und einer Szene zusammenwurstet.

Was sollte ein solches Buch auch für eine Handlung haben? Junkies verbringen nun mal die Hälfte ihres Lebens damit, Stoff zu kriegen, und die andere Hälfte damit, von ihm loszukommen. Und am Ende sind sie alle clean und happy. Oder auch nicht, zumindest nicht bei Irvine Welsh, und außerdem sind die meisten Figuren im Buch eben gerade keine Junkies, oder wenn doch, dann nicht nur. Trainspotting ist kein Drogenbuch: Keine Botschaft, noch nicht mal eine sozialkritische Komponente. Es geht schlichtweg um ein paar arme Schweine, die einfach auch gerne ein bißchen leben. Davon, wie sie das machen, erzählt Trainspotting. Das Buch ist eine Ansammlung von Kurzgeschichten, die irgendwann in irgendwelchen Literaturzeitschriften erschienen und für die Buchform mit einem roten Fädchen umwickelt worden sind. Manche Figuren haben Namen, manche nicht, mal erzählen sie in der ersten Person, mal wird von ihnen in der dritten erzählt, mal sind es die gleichen, mal nicht, ständig wechseln sie ihre Launen, und ständig sind sie verschieden drauf. Chaos statt Systematik. Und gerade diese Hingerotztheit macht Trainspotting so extrem abwechslungsreich und lesenswert — wie übrigens auch sämtliche anderen Bücher von Irvine Welsh. Wer des Englischen auch nur ein bißchen mächtig ist, sollte Irvine Welsh eigentlich im Original lesen, da der Edinburgh-Straßenslang weder beschreib- noch gar übersetzbar ist. —Dieter Lohr

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1000 neue Dinge, die man bei Schwerelosigkeit tun kannJenni Zylka  
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[Jenni Zylka: 1000 neue Dinge, die man bei Schwerelosigkeit tun kann Taschenbuch (Sehr Gut) Rowohlt 2003 ]

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